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Dichtung und Wahrheit: Nicht alles was über Syrien berichtet wird hält einer Prüfung stand.

Eindrücke von einer Reise nach Syrien im April, vor den Angriffen der FSA. Postkartenbilder in den großen Städten, statt Tumult und Aufruhr .

Stationen eines Aufstands: Vom ländlichen Aufstand in Daraa zum Angriff der NATO-Söldner.



Medien


Video: Syrien - Nein zu Sanktionen, Intervention und Krieg
NEU: Wir haben hier ein kleines Video , das die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, eine Diskussion, die auf jeden Fall ausgeweitet werden sollte. Und einige Bilder von vergangenen Aktionen

Bild von Demo: Syrische Fahne Video:Hände weg von Syrien: Demonstration in Frankfurt, 01.09.2012

Syrien im April: Ein ganz normaler Alltag
Ein Video von unserem letzten Aufenthalt in Syrien - im April 2012. Es gibt nicht nur Blutvergiessen in Syrien, sondern einen normalen Alltag.

Besuch in Syrien: Oktober 2011 Eine Schweizerin besucht Freunde in Syrien. Sie war dort für 3 Wochen im Oktober 2011 reiste durch das Land und berichtet über ihre Erfahrungen.



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Ältere Texte aus dem Jahr 2011




Abstimmung über neue Verfassung

26.02.2012, 10 Uhr

SANA, die syrische Nachrichtenagentur berichtet über die Abstimmung und zeigt Bilder Leider sind es überwiegend Männer, die abstimmen. Und die (wenigen) Frauen sind überwiegend Alawitinnen oder Christinnen. Aber das kann man nun wirklich nicht Assad anrechnen; die säkulare syrische Regierung versucht gerade, die Stellung der Frauen in der Gesellschaft zu verbessern. Konservative, ländliche Muslime lehnen gerade das oft ab.

Es wird von einer hohen Wahlbeteiligung gesprochen, "außer in einigen Gebieten..."; z.B. in Hama? Oder Homs...
Umso mehr wird es interessant sein, zu sehen, ob diese Unterschiede in den Abstimmungsergebnissen deutlich werden.
Abstimmung über die neue Verfassung Photo: SANA

26.02.2012, 15 Uhr

Man kann viel Kritik üben am Verfassungsentwurf und sollte doch einen Punkt nicht übersehen: Der Wegfall des Artikels 8. In der alten Verfassung hatte der Artikel 8 die Führungsrolle der Baath-Partei in Staat und Gesellschaft festgeschrieben. Diese Führungsrolle ist jetzt weggefallen.

Natürlich steht das nur auf dem Papier: Aber so wie der alte Artikel 8 ein Signal war, das zum Ausdruck gebracht hat: "Ihr könnt tun und lassen was ihr wollt - die letzte Entscheidung bleibt bei uns!" - so strahlt die neue Verfassung nach Monaten des Tumults ein anderes Signal aus: "Ihr habt nicht mehr das alleinige Sagen!"

Dieses Signal muss noch in die Realität umgesetzt werden. Aber ein erster Schritt ist damit getan...

26.02.2012, 15 Uhr

Gerade zeigt das syrische Fernsehen, wie Assad und seine Frau abstimmen. Sagt was ihr wollt - aber es ist eine große Menschenmenge, die mit ihren Handys filmen und knipsen und begeistert sind.
Und natürlich benutzt Assad eine Wahlkabine - allerdings gemeinsam mit seiner Frau (Nach Angaben dieser ominösen Quelle aus London war sie ja schon vor Monaten aus Syrien geflohen; d.h. bis jetzt zweimal sogar). Ob er sie zwingen will, richtig abzustimmen?

26.02.2012, 17 Uhr

Managed Democracy: ich finde es offensichtlich, dass die Abstimmung (überwiegend?) frei und transparent verläuft (ob sie immer in der Wahlkabine stattfindet, ist eine andere Frage. Das Fernsehen zeigt doch einige Bilder, wo die Abstimmenden ziemlich "direkt" abstimmen).
Die Auszählung der Stimmen soll wohl öffentlich stattfinden. und dennoch wird nicht alles dem Zufall überlassen. Soweit ich das verfolgen konnte, hat niemand, der im Fernsehen interviewed wurde gesagt, er habe mit "Nein" gestimmt. Obwohl durchaus auch Stimmen, die zu einem "Nein" aufriefen in der syrischen Presse zu lesen waren.

Es ist aber auch deutlich, dass die Interviews des syrischen Fernsehens beliebige Personen in den Wahlbüros ansprechen in Damaskus. Und in Damaskus ist die Zustimmung mit Sicherheit sehr hoch, so wie auch in Aleppo und den anderen großen Städten.

26.02.2012, 17.30 Uhr

Und eben sogar das. Ein junger Mann sagt: "Egal ob jemand mit 'Ja' oder 'Nein' stimmt - wir alle arbeiten daran, Syrien neu aufzubauen."
Bisher wurde die Einheit in allem verlangt. Dass abweichende Meinungen überhaupt als gültig gewertet werden - das ist neu.

26.02.2012, 18.00 Uhr

Das syrische Fernsehen meldet eine hohe Wahlbeteiligung aus Suweida und besonders hoch aus Aleppo

26.02.2012, 18.30 Uhr

In einigen Wahllokalen beginnt die Auszählung; andere sind noch bis 22Uhr syrischer Zeit (21Uhr MEZ) geöffnet
Zuminest in einem Wahllokal kann man die Auszählung im Fernsehen verfolgen...
Aufgerufen waren ca. 14 Millionen Wahlberechtigte.

26.02.2012, 18.45 Uhr

Ein ganz interessanter Bericht des Chinesischen Fernsehen CCTV befindet sich hier
Viele Wahllokale bleiben jetzt wohl doch insgesamt länger geöffnet...

26.02.2012, 20.45 Uhr

Der Westen hat die Abstimmung eine Farce genannt - schon lange, bevor sie begann. Warum? Weil sie keine wirkliche Änderung bringen wird? Das ist vorschnell geurteilt und angesichts der Diskussion in Syrien um den Entwurf der neuen Verfassung von vornherein völlig falsch.
Oder weil die Menschen zur Abstimmung gezwungen wurden? Das ist doch nach einem Jahr des Tumults und der Demonstrationen Unsinn.

Die USA und die NATO wollen einen Umsturz in Syrien um jeden Preis.
Nach den Erfahrungen mit Irak und Libyen haben die meisten Syrer wohl andere Vorstellungen...

26.02.2012, 21.00 Uhr

Die Auszählung hat wohl überall begonnen. Niemand, der die Bilder aus Syrien gesehen hat, aus Damaskus und Aleppo, aber auch aus anderen Städten, kann bestreiten, dass es eine hohe Wahlbeteiligung gegeben hat.
Das war für die für die großen Städte - und vor allem die Zentren dieser Städte - nicht anders zu erwarten. In den Vororten wird es vielleicht anders aussehen.

26.02.2012, 21.15 Uhr

Die Stimmung in den Fernsehstudios ist jetzt ziemlich gelöst. Nebenbei - es sind vor allem Politiker und Abgeordnete aus Jordanien vertreten. Das war nicht von Anfang an so. Aber die zumindest in den Zentren hohe Wahlbeteiligung ist ja für den Fortgang der Ereignisse wichtig und positiv.

26.02.2012, 21.45 Uhr

Das Fernsehen wirft einen Blick in ein Wahllokal und auf die Auszählung. Die Ja-Stimmen überwiegen - nicht wirklich überraschend. Die Nein-Stimmen werden durchaus gewürdigt.

27.02.2012, 24.45 Uhr

Das Ergebnis: 58% Wahlbeteiligung, davon dann 90% mit "Ja": das scheint kein überragendes, aber auch kein schlechtes Ergebnis zu sein. Vor allem erscheint es plausibel und nachvollziehbar.

Manged Democracy

Die Abstimmung über die neue Verfassung

Am 26.02.2012 sollen die Wähler in Syrien über den Entwurf einer neuen Verfassung (hier arabisch und hier englisch) abstimmen. Gleich nach der Bekanntgabe des Termins, gab es Medien die verkündeten: "Unter dem Druck der Volksbewegung ist Assad jetzt doch zu Zugeständnissen gezwungen…" Leider ist unserer uninformierten oder uniformierten Presse entgangen, dass das Thema von demokratischen Reformen in Syrien schon seit dem Juni 2011 diskutiert wird – und vielleicht auch umgesetzt wird. In seiner Rede im Juni hatte Assad angekündigt, dass es ein neues Parteigesetz, neues Wahlrecht, Mediengesetz und eben auch eine Überarbeitung der Verfassung geben werde oder gar eine gänzlich neue Verfassung.

Die angesprochenen Gesetze sind bereits alle verabschiedet. Als letztes, sozusagen der i-Punkt auf dem Ganzen folgt jetzt der Verfassungsentwurf.

Steht das alles nur auf dem Papier?

Vertreter der Opposition hatten schon im Juni 2011 gesagt:

Der Beauftrage des Organisationskomitees für auswärtige Angelegenheiten sagte seinerseits gestern, zu der Entscheidung der Regierung, ein Komitee einzurichten, das eine neue Verfassung vorbereiten soll, dass die Probleme Syriens in den letzten 40 Jahren keine Probleme der Texte waren oder einer alten oder neuen Verfassung, sondern dass sie in der Umsetzung der Texte, der Achtung der Gesetze und der fehlenden Überwachung der Regierung begründet seien.
Al Watan, 16.06.2011

Es ginge also nicht darum, unbedingt neue Gesetze zu verfassen, sondern in vielen Fällen würde es schon ausreichen, die bestehenden Gesetze ernst zu nehmen und zu achten.

Diese Kritik ist sicher berechtigt. Sie kommt vom „Organisationskomitee der Kräfte für die demokratische Erneuerung“, einer wichtigen Oppositionsgruppe in Syrien, die eine schwierige aber dann doch wieder enge Beziehung zum „Nationalkomitee“ in Istanbul hat. Und im Übrigen hatte Assad in seiner Rede das gleiche Thema angesprochen, als er über die Aufhebung der Notstandsgesetze sagte, dass viele die Bedeutung von Notstandsgesetzen nicht richtig verstanden hätten – weder vor noch nach ihrer Aufhebung

Allerdings – und das ist ein deutliches Anzeichen für Veränderungen in Syrien: abgedruckt wurde die Kritik des Organisationskomitees in Al-Watan, einer regierungsnahen Zeitung in Syrien.

Und damit stellt sich doch die Frage: Sind all diese neuen Gesetze wirklich nur Makulatur – oder vielleicht doch mehr?

In vielen Punkten ist dieser Verfassungsentwurf durchaus modern. Viele Staaten im Nahen Osten täten gut daran, sich mit einer solchen Verfassung zu schmücken – oder gar darüber zu diskutieren.

Ich möchte nur zwei Punkte herausgreifen: die Auswahl der Bewerber für das Amt des Präsidenten und die Bemerkungen zu den Parteien

..Wenn nur ein Kandidat die (allerdings hohen) Hürden schafft, um als Bewerber um das Amt des Präsidenten angenommen zu werden, soll der Parlamentspräsident den Prozess noch einmal starten und neue Bewerbungen annehmen.

Wahlen mit nur einem Kandidaten soll es nicht mehr geben.

Und dann natürlich der Artikel 8. In der bisherigen Verfassung gibt der Artikel 8 der Baath-Partei die Führungsrolle im Staat. Diese garantierte Führungsrolle fällt mit dem Entwurf der neuen Verfassung weg.

Es wird allerdings - und wieder im Artikel 8(!) - ein Punkt aufgegriffen, der auch im Parteiengesetz bereits festgelegt ist:


…es dürfen keine Parteien teilnehmen, die sich auf Religion, …Klassen- oder Berufs(interessen) gründen…

Dieser Punkt, der sicher eines der zentralen Probleme darstellt, wurde schon im Sommer ausführlich diskutiert – im Rahmen der Diskussion über das Reformprojekt. Damals wurde im Fernsehen von Verfassungsrechtlern die These vertreten, "moderne" Parteien seien nicht ideologisch; wenn man so will: sie unterschieden sich in ihren Vorstellungen, ihrer Wählerschaft und ihren Mitgliedern eigentlich nicht voneinander. Und erwähnt wurde das Beispiel der USA und Großbritanniens und ich füge gerne auch Deutschland hinzu.

Zu den Problemen dieser Länder und ihrer Parteien gäbe es einiges zu sagen. Zu Syrien aber: Der neue Artikel 8 ist – nach alldem, was geschehen ist! – immer noch der Versuch, die behauptete „Nationale Einheit“ wieder aufleben zu lassen.

Eine nationale Einheit hat es auch in Syrien nie gegeben. Kurden hatten ihre Interessen, Konservative Sunniten hatten andere Interessen und die junge städtische Intelligenz hatte ganz andere Interessen.

Das Problem all dieser Länder im Nahen Osten und darum herum war doch über Jahrzehnte, dass alle Konflikte und unterschiedlichen Interessen nie offen ausgesprochen werden und zu irgendeiner Art von Einigung geführt werden konnten. All das brodelte im Kessel und kam 2011 zur Explosion.

Dabei ist das Dilemma des Verfassungsentwurfs völlig verständlich. Die syrische Staatsräson ist in vieler Hinsicht durchaus "europäisch". Religion ist Privatsache, jeder soll nach seiner Facon selig werden und die Geschäfte sollen gut laufen. Und wer viel hat, wird wahrscheinlich noch mehr bekommen

Der zentrale Konflikt der letzten 20 oder 30 Jahre ist aber gerade der Konflikt mit den Moslembrüdern. Zumindest Teile der Moslembrüder wollen einen solchen – im Grunde – säkularen Staat nicht. Doch der Versuch, die Bildung einer religiösen Partei, die die säkulare Staatsräson in Frage stellt, zu verhindern, löst ja das Problem nicht. Verschiedene Menschen haben verschiedene Interessen und man muss lernen, zu einem Ausgleich dieser Interessen zu kommen, wie auch die Partei "Den Staat aufbauen" in ihrer Erklärung zum Verfassungsentwurf schreibt.